Ein Künstler zu sein, ist ein äußerst komplexer Beruf.

Der allgemeine Glaube, dass man einfach den ganzen Tag im Atelier sitzt, malt, was man will, und die Kunden dann ins Atelier kommen, um die Bilder zu kaufen – am besten noch „schwarz“ – entspricht kaum der Realität.

 

 

Seit der Zeit nach Corona habe ich oft das Gefühl, einen Bürojob zu haben. Meine Kunstwerke müssen täglich auf bekannten Onlineplattformen präsentiert werden, um den Algorithmus bei Laune zu halten. Soziale Medien wollen gepflegt werden, aktuelle Fotos sind ein Muss, die das Kunstwerk von allen Seiten zeigen – sowohl in einer realen als auch in einer virtuellen Wohnatmosphäre und natürlich im Atelier. Das „Künstlerchaos“ muss sichtbar sein.

 

Wenn ein Kunstwerk verkauft wird, beginnen Bestätigungsfristen für den Verkauf. Perfekte Zollunterlagen müssen bereitgestellt und das Kunstwerk in kürzester Zeit so verpackt werden, dass Transportschäden vermieden werden. Schließlich sind es Unikate. Kunden wollen auch keine horrenden Beträge für den Kunstversand bezahlen. Der Kaufabschluss erfolgt seit Corona über Onlineplattformen, und EC- oder Kreditkartenzahlung ist üblich, inklusive Zertifikaten, die die Echtheit eines Originals belegen.

 

Das künstlerische Repertoire wird oft durch das Kaufverhalten der Kunden bestimmt, ähnlich wie beim Bäcker, denn vom Verkauf bezahlt man seine Rechnungen. Wir sind Teil des regulären Wirtschaftskreislaufs. Viele Künstler sind unglücklich, weil sie nur noch ein Motiv abliefern, das von Agenturen oder Kunden gewünscht wird, da Kunden sie damit identifizieren und weil das Motiv den Cashflow bringt.

 

Kein Geld? Oft nur ein Vorwand, denn Kunstkunden gehören meist zur Luxusklientel. Niemand würde in einen Juwelier gehen, einen gewünschten Ring sehen und erwarten, dass der Verkäufer ihn verschenkt. Künstler erleben öfter eine Infantilisierung oder Bagatellisierung.

 

Menschen verwechseln oft die Situation. Ein Beispiel: Nur weil jemand zuhause gut kochen kann, bedeutet das nicht, dass er ein Restaurant mit Michelin-Sternen führen sollte oder kann.

 

(Wenn ich meinen berühmten Professor zitieren darf: „Nicht alles, was auf Leinwand gemalt wird, ist Kunst.“ Es geht nicht nur darum, ob es selbst gemacht ist.)

 

Als Künstler sollte man auch Coach sein. Der Kunstverkauf läuft über die Beziehungsebene. Ein Kunstwerk spricht einen an, es berührt einen. Diesen Dialog sollte man begleiten. Als Künstler ist man nah an der eigenen Verletzlichkeit. Persönliche Gedanken manifestieren sich auf der Leinwand. Durch Coaching-Methoden können wir Distanz wahren und die Rolle des Verkäufers einnehmen, gegebenenfalls Grenzen setzen, falls sich Menschen wie „Elefanten im Porzellanladen“ benehmen. Gerade als Frau ruft es oft Unverständnis hervor, wenn wir uns positionieren, auf Augenhöhe reden und unsere Werte angeben dürfen.

 

Wir Künstler sind Vertriebler. Wir leben davon, dass unsere Kunstwerke von vielen Menschen gesehen werden. Es gehört dazu, dass wir Fans unserer Kunden sind. Es ist ein großartiges Gefühl, sich persönlich einen Kundenstamm aufzubauen, der über Jahre hinweg auch zu Freunden wird.

 

Und wir müssen Mimik-Experten sein. Viele Gedanken der Kunden erkennen wir an ihrer Körpersprache. Es ist hilfreich zu sehen, ob Einwände da sind (Skepsis?), ob die Schmerzgrenze überschritten wird (vielleicht ist ein Druck passender, ggf. Abzahlung einbinden ins Gespräch), ob der Kunde gerade abwägt zu kaufen oder spontan in ein Kunstwerk verliebt ist.

 

Ja, ich bin gerne Künstler! Es bereitet mir viel Freude, persönlich mit meinen Kunden zu sprechen, und ich freue mich, wenn meine Kunstwerke den Alltagsstaub von der Seele der Menschen nehmen und sie sich etwas besser fühlen. Dafür mache ich gerne jeden Tag weiter.